Innehalten um durchzuhalten

„Durch Stillsein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht.“ (Jesaja 30, 15)

best-3EDOOZY64YCQ2IXIEine Freundin schenkte mir zu Weihnachten eine leere Schachtel. Kein Scherz. Sie erinnerte mich daran, dass Gott einen leeren Platz braucht, um ihn füllen zu können.

Wir fürchten die Stille und die Leere, anstatt sie als den Zustand und Ort der Offenbarung zu verstehen, der sie sind. Wir klammern uns an vorgefertigte Hilfen, um die Zeit zu „überbrücken“ und „sinnvoll zu füllen“. Aber erst wenn wir sie nicht füllen, füllt sie Gott, erst, wenn wir sie nicht überbrücken, stellt sich der Himmel ein, der stets darauf wartet, ob wir uns ihm einmal ganz hinhalten – ohne Ablenkung und Ausflucht, ohne „Plan B“ für den Fall, dass sich „nichts“ tut. Wir sind als Kinder unserer Zeit ereignissüchtig und unsere Aufmerksamkeitsspanne ist kurz. Wir brauchen Abwechslung. Immer ist eine Uhr in Reichweite und ungern schalten wir das Handy aus, um zu beten, es könnte ja was „Wichtiges“ sein…

Zeitlosigkeit ist uns vielleicht noch eine vage Erinnerung aus Kindertagen, wo die Zeit endlos und reichlich schien und nicht überfüllt und flüchtig, wie sie uns nun, da wir erwachsen sind, vorkommt. Wir leiden an Überplanung, Überarbeitung, Überfressung, wir finden den Ausknopf nicht und das Programm läuft unerbittlich weiter.

Unsere innere Verwahrlosung und Verwüstung nimmt unter der getriebenen, inszenierten Dauer-Verfügbarkeit und Power-Performance zu und unbemerkt verlieren wir den Kontakt mit unserem Herzen, unserer „Mitte“.

Es ist unglaublich und grenzt an Wunder, was Menschen leisten können, das Leben scheint bei vielen insgesamt im Akkord abgeleistet zu werden – und irrer Weise sind Menschen auf diese Lebensart auch noch stolz. Irgendwer scheint sie dafür zu belohnen oder zu bewundern, obgleich der Preis der Hetze hoch ist und am Ende die Gesundheit und alle wesentlichen Beziehungen kostet, denn die brauchen Zeit… und sie richten sich nicht nach Terminkalendern und Werbepausen.

Ein neues Jahr steht vor der Tür. Am Wendepunkt schlägt das Pendel zurück, die Wertschätzung der Langsamkeit und die Familienwerte kehren wieder – auch wenn unserer Regierung eisern das Gegenteil fördert: die Beziehungslosigkeit zugunsten der Leistungseffizienz. Schließlich müssen Schulden abbezahlt werden! Menschlichkeit und Würde haben keinen Marktwert und sind entsprechend keine politischen Themen. Es geht um Geld, dem wir alle zu dienen haben…bis zuletzt.

Aber jetzt dreht sich das Spiel. Menschen beginnen, ihre Terminkalender nach dem Leben zu richten, anstatt umgekehrt. Christen haben den Vorteil, dass Gott sie von je her zu diesem „Risiko“ ermutigt. Zu lange hat der Götze Mammon das Leben der Gemeinde fest im Griff gehabt. Zu lange ging es um „Funktionieren“ und nicht um LEBEN, ums Tun und nicht ums SEIN.

Erneut gilt es zu lernen, dass das „heilige Nichtstun“ effizienter ist als das sklavische Leistungsdiktat des Mammons, welches die Fließbänder nie stillstehen lässt.

Ich bedauere nicht jeden Arbeitslosen und sehe darin nicht unbedingt einen „Fluch“, sondern durchaus schon mal Gottes Hand, die die Kelle hebt und den Raser aus dem Verkehr auf den Haltestreifen winkt. „Sie haben es aber eilig!“, stellt der göttliche Polizist fest. „Wann haben sie eigentlich das letzte mal richtig geschlafen?“, fragt er. Wenn es der Herr „den seinen im Schlaf gibt“ (Ps 127,2), wie sollen wir dann etwas von ihm bekommen, wenn wir nicht schlafen?

Wenn wir ruhen, bis wir an Ruhe satt sind und dann noch etwas weiter ruhen, beginnt unsere Seele mit einem Selbstreinigungsprogramm, so wie es der Körper im Fasten tut. Nach einem solchen „Seelenfasten“ kehren uns die kreativen Kräfte zurück, was sich deutlich in veränderten Träumen niederschlägt. Waren sie im Reinigungsprozess bizarr und grotesk, werden sie nun desto angenehmer und anregender. Auch kehrt uns die Erinnerung daran zurück, wer wir eigentlich sind: Menschen und nicht Maschinen, göttliche Wunderwerke und nicht „Rädchen im Getriebe“.

Manche Menschen beklagen, dass Gott nicht zu ihnen spricht, aber sie kommen auch nie zu jener Ruhe und Präsenz, die es dafür braucht. Niemand lässt sich krankschreiben, um zu beten, weil sein Herz krank an Gebetslosigkeit ist. Niemand terminiert die Kinder, um „nur“ Zeit für sich selbst zu haben und sein Herz wiederzufinden. „Das wäre doch egoistisch“, flüstern die Stressdämonen in die Ohren der Gehetzten, „und schlecht fürs Geschäft.“

„Nicht der Schnelle gewinnt den Lauf“, heißt es in Prediger 9,11.

Wer gewinnt ihn denn dann, und wie? Erst wenn wir begreifen, dass bei Gott Geld nicht abhängig von Leistung ist, widerfährt uns ein umwerfendes „Aha!“-Erlebnis. Bei unseren Kindern hängt deren Versorgung auch nicht von ihrer Leistung ab, sondern ist ja eben die Voraussetzung für ihren Erfolg. „Laßt uns lieben, denn Gott hat uns zuerst geliebt“ (1Jh 4,19). Gilt dies nicht auch auf materieller Ebene?: Wir segnen andere finanziell und materiell, denn Gott hat uns zuerst finanziell und materiell gesegnet. Wir geben Empfangenes weiter. Gottes Prinzip ist das der Freiheit, die erfordert, dass wir „alles allezeit in voller Genüge haben, um überzufließen zu jedem guten Werk“ (2Kor 9,8). Das nenne ich göttlichen Wohlstand, denn er führt zu der Freiheit und Würde, ein Segen sein zu können! Wir müssen uns nicht abrackern, um zu überleben und „irgendwie über die Runden zu kommen“, nein, wir können uns die Ruhe leisten – eine wahre Glaubensherausforderung für uns Deutsche.

Ruhe ist kein Privileg (oder Fluch) der Invaliden und Rentner. In Zukunft wird das mit den Renten ja sowieso nicht mehr so üppig ausfallen, die „fetten Jahre“ sind vorüber und es wurde nicht für die mageren angespart. Die „Experten“ träumten von ewigem Wachstum und sind zu Narren geworden. Es gilt, die Wahrheit zu realisieren: Weder sind Renten rentabel noch Versicherungen sicher, denn das Geld ist trügerisch wie Treibsand. Gott jedoch ist sicher wie ein Felsen. Er ist der „Gleiche gestern, heute und morgen“, er wird nie arm und sein Reichtum wird nie weniger. Er ist auch ganz marktunabhängig, halleluja. Leider haben wir nicht gelernt, wie man auf ihn, anstatt auf Mammon baut. Uns wurde beigebracht, Gott für unsere chronischen Finanznöte „anzugraben“ und mit frommen Leistungen zu „bestechen“, damit er uns und unsere Gemeinden segnet, um wenigstens die Schulden regelmäßig bedienen zu können, aber er wartet offenbar, bis wir die Gemeindearbeit einmal ruhen lassen und zur Besinnung kommen darüber, wer wir eigentlich sind und was wir eigentlich tun. Und wer Gott wirklich ist und was er eigentlich tut. Innehalten ist angesagt.

Schnell mögen wir behaupten, all unsere Gemeindearbeit erfülle nur den einen Zweck, „Gott zu dienen“. Jedoch erfüllen unsere christlichen „Sonntagspflichten“ so gar nicht die biblischen Beschreibungen des „Sabbat“, in dem es eben um das Einstellen all unserer Aktivitäten geht, um zur Ruhe zu kommen. In meiner Zeit als Gemeindemitarbeiter und Leiter bin ich über zwanzig Jahre nicht in diese Sabbatruhe eingekehrt – zu viel zu tun, immer zu viel zu tun. (Und trotzdem war es nie genug.) Natürlich mussten all diese Sabbate nachgeholt werden, so wie Israel einst dem Land alle gestohlenen Sabbatruhen wiedergeben musste und dafür 70 Jahre einfach ausquartiert wurde nach Babylon (vgl. 2Chr 36,23). Gott nahm diese Angelegenheit sehr genau! Rechnen wir einmal nach: 20 Jahre mal 53 Wochen nicht eingehaltener 7. Ruhetag = 1060 Tage. Macht knappe drei Jahre Ferien…