Mehr als Salomon

Eine Königin des Südens wird auftreten im Gericht mit den Männern dieses Geschlechts und wird sie verdammen; denn sie kam von den Enden der Erde, um die Weisheit Salomos zu hören; und siehe, hier ist mehr als Salomon. Männer von Ninive werden aufstehen im Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße auf die Predigt Jonas hin; und siehe, hier ist mehr als Jona. (Lukas 11,31-32)

Man kann die Vergangenheit dermaßen verklären, dass man die Gegenwart nicht bemerkt. Gerade Religion ist in dieser Hinsicht überaus effektiv. Die Propheten und Patriarchen von einst werden sowas von erhöht und stilisiert, dass man sie für Übermenschen hält, für einmalige und legendäre Gestalten der Geschichte, ganz weit weg von uns normalen „Laien“.

Immer wieder fragen wir uns, ob die auch einen „Alltag“ hatten oder ausschließlich beteten, fromm waren und in Tempeln wohnten. 

Jesus holt diese Leute immer wieder von ihren religiösen Sockeln herunter und aus der Mythologie ins profane Jetzt und Hier. Die waren nämlich keineswegs anders als wir. Die Königin von Saba, sie hatte tatsächlich die beschwerliche und ewig weite Reise auf sich genommen, um Salomon zu hören. Sie hatte es sich wirklich was kosten lassen! Die Schriftgelehrten haben sowohl diese Frau, als natürlich noch viel mehr Salomon dermaßen sakralisiert, dass die Worte Jesu in ihren Ohren wie Lästerung klingen mussten. Er wird sich doch wohl nicht auf eine Ebene mit der Königin von Saba und gar mit Salomon stellen! Das tut Jesus auch nicht, er stellt sich drüber! „Hier ist mehr als Salomon.“ Ich kann mir vorstellen, wie den Pharisäern die Gesichtszüge entgleisten und der Atem stockte.

Wie „vollmächtig“ hatte Jona eigentlich den Männern von Ninive gepredigt, dass die in sich gingen und Buße taten? Jesus jedenfalls trat in unvergleichlicher, nie dagewesener Salbung auf. Dem zweifelnden Johannes im Gefängnis, der fragte, ob er wirklich der Messias sei, ließ Jesus ausrichten:

„…dass Blinde sehend werden, Lahme gehen, Aussätzige gereinigt werden, Taube hören, Tote auferweckt werden, Armen gute Botschaft verkündigt wird; und glückselig ist, wer sich nicht an ihm ärgern wird.“ (Lk 7,22-23)

Ohne Ende erfüllte Jesus die Verheißungen der Schrift, Hunderte davon. Aber das wollten die Schriftgelehrten partout nicht sehen. Es durfte einfach nicht wahr sein, denn welche Konsequenz hätte das für sie gehabt? Natürlich die, dass sie, wie die Königin des Südens es gegenüber Salomon tat, Jesus voller Achtung zuhören müssten und dass sie, wie die Männer Ninives, Buße täten. Aber beides verweigern sie, was zeigt, dass sie Jesus nicht (an)erkennen.

Trotz der Drohung des Gerichts, in welchem diese von den Schriftgelehrten verehrten Heiligen sie verdammen werden, können sie nicht einlenken, nicht in sich gehen, nicht von ihrem hohen Ross absteigen, nicht von ihrer Rolle und Agenda lassen. Sie müssen gegen Jesus sein, der ihr religiöses Imperium zum Einsturz bringt, er muss einfach ein Scharlatan, ein Betrüger, Gotteslästerer und Terrorist sein, ganz egal, wie viele Menschen er heilt, befreit und segnet. Er tut es an ihnen vorbei, also weg mit ihm! Er sollte ihnen zuhören und sich von ihnen belehren lassen und die von ihnen verordneten Bußübungen tun. Sie sind die legitimierten Vertreter Gottes auf Erden. Jeder akzeptiert das – nur dieser Jesus nicht.

Religiöse Hybris kann sich wie keine andere Anmaßung den Nimbus von Demut und Frömmigkeit geben. Niemandem fällt es so schwer, zuzuhören und Buße zu tun, wie religiösen Beamten. Sie wissen gar nicht, wovon sie Buße tun sollen, sie sind doch schon von Amts wegen heilig und gerecht, von Gottes Gnaden eingesetzt über das dumme Volk, welches ihren Predigten natürlich genau zuhören und bei ihnen in die Beichte gehen und sich ihre Absolution abholen soll. Nein, sie stehen ganz oben in der Hierarchie und Jesus hat keinen Platz in ihrer Institution. Er ist verkehrt, weil sie richtig sind, darüber gibt es keine Diskussion, es steht außer Frage.

Sehen wir, wie gefährlich diese religiösen Strukturen sind? Sie würden auch einen Jona und einen Salomon nicht (an)erkennen, wenn die lebendig vor ihnen stünden. Denn auch die wären ja nicht von ihnen bestellt und lizensiert worden.

Aber beziehen wir die Drohung des Gerichts bitte auch auf uns: Wer könnte vielleicht gegen uns aufstehen, weil wir Jesus nicht zuhören und seine Größe und Einzigartigkeit nicht anerkennen, was sich möglicherweise in einem anmaßenden und ignorantem Verhalten ihm gegenüber zeigt? Ein Benehmen, von dem wir vielleicht kaum etwas merken, weil auch wir religiös verblendet sind? Buße hat ja nichts mit Büßen zu tun, sondern mit (An)Erkennen, was ist – in Tat und Wahrheit. Möge der Heilige Geist uns mit einer realen Selbsteinschätzung helfen!