„Und das ganze Volk kam frühmorgens im Tempel zu ihm, ihn zu hören.“ (Lukas 21,38)
Das hat der Tempel bestimmt lange nicht mehr gesehen! Wie viele Gemeinden und Kirchen träumen davon, dass das „ganze Volk“ in ihren Gottesdienst käme und die Geschäfte florieren würden! Aber das Volk kommt nicht und es braucht all die werbewirksamen Strategien und Management-Methoden, um wenigstens ein paar „Besucher“ anzulocken bzw. ein paar Mitglieder bei der Stange zu halten. Von einer „Volkskirche“ kann schon lange nicht mehr die Rede sein, die Zahlen sind so rückläufig wie bei den „Volks-Parteien“, die das Volk so wenig repräsentieren wie es die Kirche auch nicht tut. Wie kommt das? Was war an Jesus so anders, dass er ganz ohne PR heftig beliebt war bei dem Volk? Und das auch noch „frühmorgens“!
Nun behaupten die Kirche und Gemeinden alle, dass sie ganz „Jesus“ sind: ihm dienen, ihm folgen, seine Sache vertreten und verkünden. Hat also das Volk sich verändert? Viele sehen das so. Der moderne Mensch sei nicht mehr interessiert an Religion, habe keine Zeit mehr für Gott, sei „schwer zu erreichen“, usw.
Wir lesen diesen Satz in Lukas 21,38, nachdem Jesus seine Endzeitrede gehalten hat, eine, wie ich finde, nicht eben einladende Predigt! Nicht das, was man gerne hört oder was einen mit Verheißungen und Versprechen überhäuft sowie in einer „Drei-Punkte-Predigt“ darüber informiert, wie das erfolgreiche spirituelle Leben funktioniert. Dennoch kommt das „ganze Volk“ zu Jesus.
Es muss wohl an IHM selbst liegen. Seiner Art und Weise, seiner Lebendigkeit, Präsenz und anderen Sicht aller Dinge. Seiner Salbung: „Der Geist des Herrn HERRN ist auf mir, denn er hat mich gesalbt…“
Er lehrte in Erweisung des Geistes und der Kraft und nicht nur in Erweisung einer „theologischen Richtung“, einer „textkritischen Exegese“ oder „liturgischen Ordnung“. Er war kein Religionsgründer, kein Papst und kein Reformator. Er hatte keine Hierarchie zu bieten, kein Gemeindeprogramm, auch keine Legitimation der Schriftgelehrten (kein Theologiestudium/ Bibelschule) und der Synagoge (keine Empfehlung des Klerus). Das Establishment lehnte ihn komplett ab und gab auf allen Kanälen ernste Warnungen heraus. Jesus passte in keine Schublade, keine Tradition, keine Agenda.
Er war, der er war.
Jesus war der „Menschensohn“. Er war so wirklich und wahrhaftig ein „Mensch“, wie Gott ihn im Anfang geschaffen hat, ihm den Geist einhauchte, lebendig machte, wie er ihn segnete und ermächtigte und des Paradieses würdigte. Wie er dem Menschen Vater und der Mensch sein Gegenüber war.
Die Leute sahen in Jesus sich selbst, die Möglichkeit, wieder zum Anfang zurückzukehren in diese Heilige Verbundenheit von Himmel und Erde, Gott und Mensch. Sie sahen in Jesus das Ende der Sünde und den Anfang der heiligen Herrlichkeit des Menschen, das Ende des Fluches und den Anbruch des Segens.
Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, die Herrlichkeit eines vom Vater Geborenen, voller Gnade und Wahrheit. (Joh 1,14)
Wann immer uns die Wucht solcher Gnade und Wahrheit trifft, die weit über „theologische Richtigkeit“ und „textkritische Exegese“ hinausgeht, die uns mit der in Fleisch und Blut gekommenen Herrlichkeit konfrontiert – die wir am Anfang hatten und im Sündenfall verloren haben; wann immer wir dem „wirklichen Leben“, dem „wahren Licht“, der „unmittelbaren Gegenwart Gottes“ begegnen, löst es ganz tief in uns etwas aus. Eine Sehnsucht, die immer unterdrückt wird, um im gnadenlosen, herrlichkeitsfreien Alltag zu funktionieren, bricht mit urgewaltiger Wucht aus uns heraus. Könnten wir wirklich sein, die wir sind? Wir spüren, diese tief verborgene verzweifelte Sehnsucht in uns, das sind wir selbst.
In der Gegenwart Jesu sehen und erleben die Menschen sich selbst ganz anders, als sie je gewusst haben, dass sie es sind. Sie schauen in den göttlichen Spiegel, der Jesus heißt, und in diesem Spiegel sehen sie sich in einer heiligen und herrlichen, einer gnadenvollen und wahrhaftigen Variante. So menschlich, wie sie sich noch nie gesehen haben.
Alles ist daran gelegen, einen Blick in diesen lebendigen Spiegel zu werfen und die größere Wirklichkeit „voller Gnade und Wahrheit“ über uns selbst zu sehen, über Gott und die Welt, über das Leben und einfach alle Dinge. Das ist der Anfang des Weges. Der Weg heißt Jesus.
Mit Religion, wie wir den Begriff verstehen, hat das gar nichts zu tun. An keiner Stelle fordert Jesus uns auf, religiös zu werden, sondern zu ihm zu kommen. Wie blind sind wir, dass wir das nicht sehen? Wie verblendet, eine Kirche auf fromme Regeln, Tradition, Klerus und Liturgie zu gründen, und nicht auf die Offenbarung Jesu Christi durch den Heiligen Geist, der ihn uns zeigt, wie er ist, damit wir werden, wie wir sind.