Schreibend halte ich mich am Leben
Franks SchreibWerkstatt |
… abwechselnd wunderbar, schmerzhaft, narzisstisch, therapeutisch, herrlich, befreiend, tieftraurig, beflügelnd, deprimierend, langweilig, belebend. Schreibend halte ich mich am Leben… jeden Tag wieder. Ich schreibe, um diese unglaubliche Gelegenheit, am Leben zu sein, ganz genau wahrzunehmen und zu feiern. Schreibend erforsche ich die Welt. Meine Welt. Schreibend erinnere ich mich an mich selbst – ehe alles vergessen wird. Wir sind alle Geschichtenerzähler. Vielleicht macht uns das zu Menschen.“ [1]
Doris Dörrie
Eine schöne Beschreibung, wie wunderbar vielfältig die Wirkung des „Geschichtenerzählens“ ist. Wir alle schreiben einen Roman und unsere Mitmenschen sind die Figuren darin.
In meiner Jugend lebte ich in verborgenen Fantasy-Dimensionen. Die reale Welt war mir trist und trübe, gefährlich und unberechenbar. Nein, da gefiel mir die Virtualität viel besser als die Realität.
In dieser „Weltflucht“, so therapiebedürftig sie war, lernte ich Formulieren und übte meine Imagination. Später sollte Gott das nutzen, um mir heilige und herrliche Dimensionen zu erschließen, die für das physische Auge zwar unsichtbar, für das Herz aber höchst real sind.
Immer tiefer habe ich mich aus der niederen Illusion in die höhere Realität hineingeschrieben, aus dem Tod ins Leben, der Verlorenheit in die Gefundenheit. Immer versuche ich, diesen Übergang aufzudecken und zu realisieren. Er fordert von mir Wachheit und Präsenz, ihn so genau wie nur möglich zu erfassen, zu verarbeiten und wiederzugeben auf meine Weise.
Manchmal fragte ich mich natürlich, ob zwischen Fiktion und Offenbarung überhaupt ein Unterschied besteht? Bildete ich mir die Visionen himmlischer Dinge nur ein? Waren die Engel, die mir halfen, nur Wunschfiguren in einer auf fromm gebügelten Fantasy-Welt? Wo verläuft die Linie zwischen Wahn und Wirklichkeit? Die Erforschung dieser Linie, die ich auch als „Schwelle“ bezeichne, ist nicht fassbar, sie bewegt sich und verändert sich mit der Reife und Beweglichkeit des Schreibers.
Die Wirklichkeit ist m. E. keine definier- und normbare Größe, sie entzieht sich unserer wissenschaftlichen Kontrolle und geschäftlichen Vermarktung. Gibt man sich ihr jedoch hin und begreift, dass sie „Gott“ ist, dann entfaltet sie immer neue Aspekte und Facetten, sie zeigt sich als unendlich und lebendig, wir werden niemals mit ihr fertig.
„Schreibend erforsche ich die Welt“, sagt Doris Dörrie. Auch ich mache es so und kann es nicht anders. Nun aber ist der Himmel hinzugekommen, da gibt es sooo viel zu schreiben!
Gott schafft einen neuen Himmel und eine neue Erde, er offenbart seinen „Schreibern“ durch den Heiligen Geist, der ihre Herzensaugen erleuchtet, die Geburt und Dämmerung ihres Aufgangs. Dafür taucht er uns in die Kraft, Liebe und Besonnenheit, um das Unfassbare und Überweltliche in irdische Worte zu kleiden. Er gewährt uns, den Glanz der Herrlichkeit jener anderen Realität auszuhalten – wenigstens einen Moment lang. In ihrem Licht zeigt sich einfach alles anders, als gewohnt.
Welche Schriftsteller jagt nicht unentwegt der perfekten Formulierung hinterher, die das Vollkommene in angemessener Weise wiederzugeben vermag? Aber menschliche Worte sind immer Momentaufnahmen wie das Foto einer belebten Straße. Sie sind nicht fließend genug, eine sich ständig bewegende, atmende und entfaltende Realität abzubilden. Darum braucht es viele Autoren, die bewegt vom Heiligen Geist ihre Erfahrung mit dem Einbruch der heiligen in die profane Welt aufschreiben. Die dokumentieren, was geschieht. Diese Leute sind für mich „Schreiber auf der Schwelle“. Sie stehen zwischen den Dimensionen und schreiben entsprechend interdimensionale Geschichten. Wow!
[1] Doris Dörrie, „Schreiben heißt, die Welt einatmen“, Magazin Happinez 4/20, S. 85, Heinrich Bauer Verlag Hamburg