Wenn der Zweck die Mittel heiligt

Wehe euch! Denn ihr baut die Grabmäler der Propheten, eure Väter aber haben sie getötet. So gebt ihr Zeugnis und stimmt den Werken eure Väter bei; denn sie haben sie getötet und ihr baut ihre Grabmäler. (Lukas 11,47-48)

Zu allen Zeiten haben die Propheten ihren Finger auf die Verkehrtheiten ihrer Zeit und Art von Religiosität und Politik gelegt. Sie waren Reformer und Pioniere. Sie rüttelten die Nation auf und hinterfragten die Routinen. Nie waren sie beliebt, stets wurden sie verfolgt.

Später dann, nach ihrem Tode, wurden sie der Religion eingefügt, manchmal gar „selig gesprochen“, jedenfalls assimiliert. Ihre heroischen Taten wurden irgendwie der Synagoge, Kirche oder wie immer die Gemeinde gerade hieß, religiös und lehrmäßig angepasst und auf einmal waren es Vertreter des Systems, das sich nun rühmen konnte, solch große Geister hervorgebracht zu haben. Ihnen wurden Gräber, Denkmäler, Feiertage oder was auch immer gewidmet. Bestimmte Richtungen innerhalb der institutionellen Religion wurden nach ihnen benannt, wie etwa die „Franziskaner“ bei den Katholiken oder „Lutheraner“ und „Kalvinisten“ bei den Evangelischen, usw. Man sagt, dass die Christenheit heute mehrere tausend Denominationen aufzuweisen hat. Von Einheit findet sich trotz aller Mühe keine Spur. Die ist ja auch „in Christus“ und sonst gar nirgendwo zu finden. 

Seltsam, dass diese „Parteien“ bzw. Richtungen keine Reformatoren und Pioniere, Propheten und Apostel nach Art ihrer Gründerfiguren, deren sie sich rühmen, hervorbringen. Immer landet alles im Fahrwasser der „lauen“ Besucher- und Betreuungskirche, die sich hierarchisch aufbaut und in Klassen unterteilt, wie Klerus und Laien, wo die einen über die anderen herrschen. Die große Masse, das Volk Gottes, ist in dieser Struktur stets ganz unten. Es hat seine Identität nicht in Gott selbst und seiner ewigen Berufung, nicht in seiner verwandelnden Gegenwart und der Salbung des Heiligen Geistes, sondern eben in der „Kirche“, zu der es gehört.

Zu akzeptieren, dass es unsere Väter waren, die die von Gott gesandten Boten ablehnten, verfolgten und umbrachten, so dass Gott immer neue schicken musste – bis heute – das ist eine dicke Kröte, die zu schlucken ist. Jesus spricht zu jenen frommen Männern, die schon in Kürze ihn, den Sohn Gottes und den Messias ebenfalls hinrichten werden. Denn auch er passt ihnen nicht ins Konzept und ist einfach zu wahr und licht – so wie einst die von Gott gesandten Propheten. Ihr ganzes heuchlerisches System fliegt in seiner Gegenwart auf. Er zollt ihnen null Respekt für ihre Titel und Ämter, Talare und Tantiemen,  ihn interessiert ausschließlich, wer sie wirklich sind.

Werden wir diese Mörder im Nachhinein verklären und idealisieren und nach ihren Namen unsere Universitäten und Krankenhäuser benennen? Oder lassen wir alles genau so, wie es ist, im Licht stehen und schmücken uns weder mit fremden Federn noch erklären wir Verbrecher zu Heiligen? Jesus war sehr klar darin, dass wir IHM folgen sollen, ohne eine Kirche und Kaste dazwischenzuschalten, die uns erklärt, wie wir das richtig zu machen haben – unter ihrer Aufsicht und Auslegung, Verwaltung und Ordonanz.

Wenn uns diese direkte Nachfolge, in der wir Jesus wirklich für uns selbst suchen und fragen, zu anstrengend ist und wir uns in die Verwaltung der Schriftgelehrten und Pharisäer begeben, die die Sache mit Gott für uns gegen eine Gebühr regeln, könnte es sein, dass wir uns auf einmal in ihren ideologischen Kriegen und Konkurrenz-Kämpfen mit allen anderen wiederfinden, ihre Fahne schwingen und Doktrin bis aufs Blut verteidigen gegen die „Irrlehrer“ und „Sektierer“. Wir dienen auf einmal einem mörderischen Imperium, dass, wenn man nur genau hinsieht, auch über  Leichen geht, um Recht zu behalten und seine Macht auszubauen.

Große Namen der Geschichte werden in Anspruch genommen, obwohl wir ihnen in der Art, wie wir „Glauben“ definieren und „Kirche“ betreiben, zu null Prozent entsprechen und sie nur als Gallionsfiguren missbrauchen, um unsere Anmaßung zu rechtfertigen, jemand zu sein. Alle Ideologien und Parteien machen es so, nur dass Jesus kein Ideologe ist und keine Partei gegründet hat. Darum eignet er sich schlecht für Monumente, Denkmäler und Kriegsfahnen. Würde er ernst genommen, wäre er ja das Ende des Theaters und der Inszenierung, der Parteien und ihrer Fahnen, der Macht-Anmaßung und Heuchelei.

Nichts von alledem interessiert ihn. Wir interessieren ihn – nicht als Parteigänger, Mitglieder einer Denomination, Spender und gehorsame Lakaien einer Kirche, sondern als MENSCHEN. Als die, die wir jenseits von alledem SIND – zuhause, privat, hinter der Fassade –, dort, wo wir niemandem was vormachen. Wie furchterregend! Wie geht denn „Echtsein“? Das ist die Frage, die die Schriftgelehrten nicht stellen.