Auch das Gesetz kann ein Götze sein

Aber einer der Gesetzesgelehrten antwortete ihm: Lehrer, indem du dies sagst, schmähst du auch uns. Er aber sprach: Auch euch Gesetzesgelehrten, wehe! (Lukas 11,45)

Wie zu erwarten, beschwert sich nun einer der Gesetzeshüter über Jesu unglaubliche Pauschalisierung, in der er sein Wehe! über die komplette Zunft der Pharisäer und Schriftgelehrten ausgießt. Mit nie gekannter Wucht schlägt er den Hammer auf ihr heuchlerisch religiöses Gebaren und „Ministerium“, um es zu zertrümmern. Wie kann er nur! Das sind doch Würdenträger, Obere, Priester und was noch alles. Sie geben dem Volk Orientierung und sorgen für Ordnung. Ihrer Meinung nach sind sie von Gott legitimiert, ihre religiöse Hierarchie und Verwaltung zu betreiben, in der sie oben stehen und der Rest unten – und die Ungläubigen als der allergrößte Teil der Menschheit draußen.

Religion in ihrer ideologischen Ausprägung ist stets exklusiv, Jesus dagegen ausgesprochen inklusiv. Ihn interessieren nicht die „richtigen“ Partei- und Gesangbücher, nicht die Vereinsstatuten und Positionspapiere, sondern die Wirklichkeit. Nicht, was wir ins Schaufenster stellen, sondern wer wir SIND.

Die Frage der Wirklichkeit ist die Frage der Wahrheit. Nicht einer ideologischen, philosophischen oder „Gesetzes“-Wahrheit, sondern wo alles genau das ist, was es ist. Zuerst: Gott ist Gott und der Mensch ist sein Gegenüber. Er definiert sich nicht über Geld oder Karriere, über Titel, Ämter und Posten, sondern eben darüber, Gottes Gegenüber zu sein. DAS macht den Menschen.

Darum können Menschen in der Welt verachtet und in Gottes Reich sehr geehrt sein. Was ihnen in der Welt Ansehen verschafft, ist in Gottes Reich hingegen gegenstandslos. Die Unabhängigkeit von Gott macht den Menschen abhängig von der Welt. Die Abhängigkeit von Gott macht ihn unabhängig von der Welt.

Wenn auch ein Mensch sich über das Gesetz definiert, also abhängig davon ist, ist er unabhängig von Gott. Das Gesetzt verbindet ihn nicht mit Gott, sondern trennt ihn von ihm und bindet in an die eigenen Bemühungen. Das Gesetz ist nicht dafür da, davon abhängig zu sein und sich buchstabentreu nach ihm zu richten. Es ist eher eine Offenbarung darüber, wie Gott ist und wie wir nicht sind. Das Gesetz zu befolgen, wird uns niemals Gott gleich machen, sondern in Teufels Küche bringen.

Das Gesetzt kann uns nicht lebendig, fähig, geschweige denn glücklich machen. Es ist die Kapitulation vor der überirdischen Gerechtigkeit und unergründlichen Weisheit Gottes, mit der wir keineswegs mithalten können und welche die Thora offenbart, die uns in die rechte Position bringt, uns in die Hand Gottes zu geben ohne Wenn und Aber.

Schon im „Gesetz“ wird uns offenbart, dass Gott Liebe IST und eigentlich „nichts weiter“ von uns verlangt wird, als auch zu lieben – mit ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzem Verstand und aller Kraft. Der Schriftgelehrte in Lukas 10,25-37 (Der barmherzige Samariter), wußte genau, welches das eine und größte Gebot ist. Jesus lobt ihn darüber und sagt: „Geh hin und handle ebenso!“. Er sagt nicht: „Geh hin und studiere alles darüber“, um es dann lehren zu können, sondern „HANDLE entsprechend!“.

Unser Wissen wird uns nicht retten, nur unser Handeln, welches der genuine Ausdruck unseres SEINS ist. Wenn wir nur gerecht scheinen und nicht gerecht sind, dann ist auch unser Frieden nur ein Scheinfrieden und nicht belastbar. Wenn wir nur liebevoll tun, ohne es zu sein, dann ist es die größte Heuchelei – obwohl wir damit möglicherweise niemandem schaden. Dennoch sind wir Betrüger. Wir können alles richtig lehren, ohne richtig zu sein, und das verdirbt dann alles.

Gott akzeptiert das nicht. Er nennt es Heuchelei und Verkehrtheit. Er nennt es Sterben und nicht Leben. Alles kommt auf den Punkt herunter, wer wir wirklich sind und da heraus authentisch ausleben. Wenn wir unrein SIND, dann können wir keine Reinheit leben, nur vorspielen. Wenn wir nicht Liebe SIND, dann können wir Liebe nicht leben, sondern nur inszenieren. Dahinter aber sind wir eben ganz anders.

Dieses „Dahinter“ interessiert Gott. Er will uns ins Licht stellen und wissen, wer wir sind. Und durch den Heiligen Geist gibt er uns auch den Mut dazu, ins Licht zu treten. Und siehe da, das Licht verbrennt uns nicht, sondern verwandelt uns. Was wir durch alle Gesetzlichkeit niemals auch nur im Ansatz erreichen, wird uns im Licht zuteil – aus lauter Gnade. Die Erfahrung der Gnade ist selig.

So wichtig die Bibel auch ist, sie ist nicht der Boden, auf den wir uns gründen. Sie zeugt von Gott, in dem wir uns verankern müssen. Man kann die Bibel zu einem Götzen machen und sehr „biblisch“ sein, ohne von Gnade auch nur ein Jota zu verstehen. Manchen Menschen muss Gott die Bibel für eine Zeit wegnehmen, damit sie so wie sie sind in sein Licht treten, nackt und naiv, authentisch und unverstellt wie ein Kind, das von Theologie nichts weiß und mit dem Herzen denkt.