Wehe euch! Denn ihr seid wie die Grüfte, die verborgen sind, und die Menschen, die darüber hingehen, wissen es nicht. (Lukas 11,44)
In der Parallele Matthäus 23,27-28 heißt es, dass die Schriftgelehrten und Pharisäer übertünchten Gräbern gleich sind, „die nach außen hin zwar schön scheinen, inwendig aber voller Totengebeine und aller Unreinigkeit sind. Sie scheinen nach außen vor den Menschen zwar gerecht zu sein, sind innerlich aber voller Heuchelei und Gesetzlosigkeit“.
Eine Salve nach der anderen schießt Jesus gegen die professionelle Heuchelei der Pharisäer ab. Sie, die als besonders gerecht gelten und entsprechend betitelt, behandelt und bezahlt werden wollen, sind in Wahrheit besonders ungerecht. Sie, die als Inbegriff des integren Gutmenschen gelten, sind das ganz genaue Gegenteil davon und gehen über Leichen, wenn es „der Sache“ dient. Auch über die von Jesus. Dies kann sehr irritierend sein und die unbedarften und leichtgläubigen Leute ein Leben lang über die wahren Verhältnisse täuschen.
Vielleicht muss Jesus mit seinen „Wehe“-Rufen so deutlich werden, weil die Pharisäer nicht nur die anderen, sondern vor allem sich selbst täuschen? Diese Rabbis sind durch und durch pervers, weil sie ganz genau das Gegenteil dessen leben, was sie nach außen hin vertreten und fordern. Halten wir uns das vor Augen: Die Schriftgelehrten sind besonders unfähig, die Schriften zu verstehen und auszulegen; die Pharisäer ausgesprochen anmaßend und überlegen, die Gesetzeshüter voller „Heuchelei und Gesetzlosigkeit“. Au weia! Da stimmt gar nichts und da wird Gott für die eigenen Zwecke missbraucht. Gilt denn das für jeden einzelnen Schriftgelehrten? Sicher nicht, aber es ist systemisch. Und in einem solchen System zu arbeiten, macht uns seiner Sünden teilhaftig.
Jesus hassen sie, den Heiligen Geist brauchen sie nicht, die Schrift legen sie aus, wie es ihnen am besten in den Kram passt. Am besten so, dass Gott weit weg im Exil ist, während sie von ihm beauftragt sind, die Welt in seiner Abwesenheit für ihn auszubeuten zu verwalten, wie immer sie es für richtig halten.
Das Problem besteht darin, dass das religiöse System schon lange das Ruder in der Hand hat und seine illegitime Herrschaft institutionalisiert ist. Niemand stellt es grundsätzlich in Frage. Außer Jesus.
Die Institution hat sich niemals geändert und ist heute genauso unmenschlich und ungöttlich wie ehedem. Heuchelei und Gesetzlosigkeit bestimmen die Routine hinter der Fassade der formalen Rechtschaffenheit und historisch-kritischen Entmachtung des Wortes Gottes. Was hinter den Türen vor sich geht, ist Privatsache und geht auch wirklich niemanden etwas an, auch Gott nicht. Er hat seine Kerze und sein Vaterunser bekommen, was will er noch?
Dass ihn unsere historisch-kritische Auslegung, heilige Liturgie, Kerzen, Vaterunser und was noch gar nicht interessieren könnte, ist für die institutionalisierten Religionen undenkbar. Dass Gott weder in die Synagoge noch die Kirche geht, die er auch nie gegründet oder beauftragt hat, seine Geschäfte zu regeln, wie soll man so etwas überhaupt denken können? Wir gehen dorthin, um Gott zu begegnen und er ruft uns heraus, um uns zu begegnen. Kann das denn wahr sein? Ja, das kann es, denn Gott ist kein Gott der gepflegten Heuchelei und frommen Gesetzlosigkeit, der verborgenen Grüfte, Gebeine und Unreinheit, der geübten Scheinheiligkeit und des humanistischen Gutmenschentums, der komplizierten Theologie und teuren Kirchen-Bürokratie-Hierarchie.
Was will er denn dann nur von uns?!
Na eben uns. Der Rest kann weg…
Gott hat keine Religion geschaffen, sondern den MENSCHEN. Er ist sein Gegenüber und nicht eine Institution oder Organisation. Gott ruft, begabt, bildet und sendet Menschen. Nichts hat sich daran geändert. Die Gemeinde besteht aus MENSCHEN, in deren Herzen Gott wohnt und sie zu richtigen Menschen macht. Wie kann die Gemeinde da unmenschlich sein und Gott dazu benutzen, um die Leute bei der Stange zu halten und auf Linie zu bringen und eine Art religiöses Ministerium zu finanzieren?
Alle bauen Gemeinde, auch Jesus. Aber anders als wir es tun und überhaupt denken können. Denn wir wissen nicht, was Gott und was sein Mensch ist. Nur in der realen Verbundenheit mit Jesus kann sich dieses Geheimnis offenbaren und entfalten. Jeden Tag neu. Dieser Gemeinde möchte ich gerne zugehören…