Der religiöse Irrtum

Wehe euch Pharisäern! Denn ihr liebt den ersten Sitz in der Synagoge und die Begrüßung auf den Märkten. (Lukas 11,43)

Die Parallele in Matthäus 23,7 fügt zu diesen beliebten Aspekten der frommen Performance der Religiösen und Gesetzlichen noch hinzu, dass sie es lieben „von den Menschen Rabbi genannt zu werden“. Das ist eine respektvolle Anrede und bedeutet „Meister“ oder „Lehrer“. All das wird dort in der Parallele unter der Motivation gelistet, „von den Menschen gesehen werden zu wollen“ (Mt 23,5)  

Wie gesagt, Jesus interessiert nicht die Außendarstellung, die in einer langen religiösen Tradition bis ins Kleinste hinein perfektioniert wurde und von niemandem wirklich eingehalten werden konnte. Auch nicht von den Profis, die aber so tun, als täten sie es…

Jesus will wissen, was im Herzen los ist, im Inneren. Was die Pharisäer antreibt, sich so pharisäisch zu benehmen. Er unterstellt ihnen keine lauteren und tugendhaften Motive. Wahre Gottverbundenheit braucht keine Sichtbarkeit und Abgehobenheit, keine Hierarchie und institutionelle Macht. Wären die Pharisäer Gott nahe, kämen sie nicht auf solche Ideen, ihr Bedarf an Ansehen und Bedeutung würde in der Gegenwart des Höchsten mehr als gestillt und käme zur Ruhe.

Dieses „Zur-Ruhe-kommen“ ist überhaupt das wahre Hauptkennzeichen des heiligen Lebensstils. Bei Gott kommt unsere Seele zur Ruhe, wir können mit der ganzen Ego-Manie, auch in der frommen Variante, aufhören. Gott sättigt unsere Seele, holt sie aus der Verwaisung heraus und taucht sie in die volle, selige Kindschaft. Und er tut das nicht erst, wenn wir uns ganz viel Mühe gegeben haben, „gut“ zu sein, sondern aus Gnade. Diese jedoch will angenommen werden, was dem Stolz des Ego äußerst schwer fällt.

Den Himmel kann man nicht verdienen, nur geschenkt bekommen. Das ist der ewige Konflikt zwischen den Religiösen und den Freien, den Waisen und den Kindern. Was die einen mit harter Arbeit und eisernem Gehorsam zu erlangen trachten, bekommen die Begnadigten einfach geschenkt. Das ist sowas von ungeheuerlich und in den Augen der Schriftgelehrten und Pharisäer die reine Häresie, die verboten gehört und verfolgt werden muss. Die schlimmsten und brutalsten Verfolger der wahren Gemeinde sind immer die Religiösen. Nicht die Welt ist es, nein, die Synagoge und Kirche selbst sind es. Sie alle bestehen darauf, die Verwaltung Gottes inne zu haben und die Menschen unter ihrer Kontrolle zu halten – natürlich zu deren Bestem. Selbst was man denken und fühlen darf, wird vorgegeben, ein vollkommen fremdbestimmtes Marionettenleben ist das Ideal.

Jesus versucht, den Verwaltern mit seinen drastischen Worten klar zu machen, dass sie vollkommen falsch liegen, ja, mehr noch, dass sie mit ihrem religiösen Anspruch und Gehabe sowohl anti-göttlich als auch anti-menschlich handeln.

Wir können nur immer wieder betonen, dass Jesus nicht gekommen ist, um eine Religion zu gründen. Davon gab und gibt es schon genug. Er ist gekommen, um uns das LEBEN zu bringe, die GNADE, die FREIHEIT, die VERGEBUNG, das LICHT und die KINDSCHAFT. Er selbst bringt uns in die „GROSSE RUHE“. All das kann Religion niemals leisten, sie hat es nicht einmal auf dem Schirm.

Der Gedanke, dass Gott nicht religiös sein könnte, liegt für die Religiösen natürlich jenseits ihrer Vorstellung. Die Konsequenz wäre u. A. eine Auflösung ihres Standes, weil es ihn gar nicht braucht. Jesu nimmt ihnen die Zügel aus der Hand, Gott bewahre! Das darf nicht geschehen, also töten sie ihn und zeigen Gott die rote Karte. Soll er bitteschön das Spielfeld räumen und weit weg in seinem Himmel bleiben, wo er tun und lassen kann, was er will, aber HIER haben SIE das Sagen, HIER spielt man nach den REGELN. 

Der religiöse Irrtum sitzt wurzeltief, die Pharisäer können eine Selbstdiagnose nicht durchführen. Sie sind getrieben und wissen von der „Ruhe“ nichts, in die Gott sie bringen würde, wenn sie ihn an sich heranließen. Sie können ihr Programm nicht anhalten und nicht in sich gehen, sie haben viel zu tun mit ihrer „Arbeit für Gott“. Was will ihnen dieser Jesus da eigentlich vorwerfen? Nicht mal die Hände hat er sich vor dem Essen gewaschen!