Gericht und Liebe

Aber wehe euch Pharisäern! Denn ihr verzehntet die Minze und die Raute und alles Kraut und übergeht (dabei) das Gericht und die Liebe Gottes; diese Dinge hättet ihr tun und jene nicht lassen sollen. (Lukas 11,42)

So, wie die Pharisäer bei den Waschungen sorgfältigst auf deren Einhaltung achteten, so taten sie es auch in Hinblick auf den Zehnten – ein Dauerthema bis heute. Bis in die Details hinein wird die Frage diskutiert, was unter den zu verzehntenden (versteuernden) „Gewinn“ fällt, denn schließlich muss man nach Meinung der Gesetzlichen eben diese Dinge genauestens befolgen, wenn man dem Gericht Gottes entgehen und seine Liebe verdienen will. Als würde es im Gericht darum gehen! Und als könne man die Liebe damit verdienen!

Hierüber ist Jesus ungehalten. Den Zehnten zu geben, um Punkte im Himmel zu sammeln, zeugt von einer inneren Haltung der Unverbundenheit mit Gott, die ihn mit Pflichterfüllung beeindrucken oder besänftigen will, aber nicht in die Einheit mit ihm kommt, wo dann der Zehnte eine ganz andere Bedeutung bekommt, als es das äußerliche Befolgen vermittelt. Anhand der Auslegung der 10 Gebote in der Bergpredigt können wir sehr schön sehen, wie Jesus immer über die innere Haltung spricht, die den Pharisäern ganz entgeht.

Eigentlich ist das, was Jesus hier den Pharisäern um die Ohren schlägt, von LIEBE motiviertes GERICHT, auch wenn es sich so gar nicht danach anhört. Er will die ans Gesetz aber nicht an Gott Gebundenen erreichen und ihre Herzenshärte erschüttern. Dafür muss er den Hammer herausholen. Er will den Pharisäern ihre Heuchelei spiegeln und erklären, wie fatal das religiöse Getue ist. Wie es sie davon abhält, die eigentlichen und wesentlichen Fragen zu stellen. Wie es sie in ihrer persönlichen Entwicklung behindert, weil sie zu religiösen Marionetten und Funktionären werden, aber nicht zu integren und lichten MENSCHEN.

Natürlich werden die Gelehrten auch unter diesen Hammerschlägen nicht einknicken und an ihrer anmaßenden Scheinheiligkeit festhalten. Auch an ihren Posten und Gehältern, an ihrem Ansehen und sonstigen Privilegien werden sie kleben bleiben. Wofür betreiben sie denn den ganzen Aufwand? Wirklich aus Liebe zu Gott, dem Nächsten und sich selbst?

Für uns alle gilt es, Jesus danach zu fragen, wo auch wir das Wesentliche aus den Augen verloren haben, um uns mit dem Unwesentlichen zu verzetteln. Wir sollten ihn beständig nach dem Gericht und der Liebe fragen. Denn das Gericht richtet und aus, korrigiert die Abweichungen und hält uns auf dem graden Weg. Die Liebe aber ist die Erfüllung des Gesetzes – und wer liebt braucht gar keins.

Den Liebenden braucht man nicht über den Zehnten zu belehren, da er bereit ist, alles zu geben und nichts festzuhalten. Durch sein Herz und seine Hände können unglaubliche Segnungen und Mittel fließen, weil er eben die richtige Haltung hat, in der das möglich ist. Er verzettelt sich nicht mit den „Kräutern“ und streitet über Buchstaben, als hinge daran das Heil, sondern sieht die größeren Zusammenhänge und Notwendigkeiten, die er vor Gott bewegt, bis der Himmel auf Erden ausbricht. Jede Trennung muss überwunden werden, das ist das Ziel sowohl des Gerichts als auch der Liebe: wie im Himmel, so auf Erden.