Professionelle Torheit

Toren! Hat nicht der, welcher das Äußere gemacht hat, auch das Innere gemacht? Gebt jedoch als Almosen, was darin ist, und siehe, alles ist euch rein. (Lukas 11,40-41)

Hat Jesus die Pharisäer hier gerade wirklich „Toren“ genannt? Sie, die Studierten und Gelehrten, die Geistlichen und Synagogenvorsteher, die „Rabbis“, denen größter Respekt entgegenzubringen war, um nicht in Ungnade zu fallen. Denn an ihnen vorbei kommt keiner in den Himmel…

Jesus fragt nach der Beschaffenheit des Inneren. Und das ist die eine und grundlegende Frage hinter der wahren Frömmigkeit, dem heiligen Lebensstil, dem Frieden mit sich selbst, dem Nächsten und Gott. Denn äußerlich kann man das eine ins Schaufenster stellen, innerlich aber ganz anders sein –  „voller Raub und Bosheit“, wie Jesus im Vers zuvor sagte.

Diese Diskrepanz zwischen Außen und Innen ist ein Wesenszug des Bösen bzw. der Sünde. Heiligkeit dagegen besteht u. A. darin, dass Außen und Innen deckungsgleich sind. Wir sagen mit unserem Mund nicht das eine, während wir etwas ganz anderes denken. Wir tun nach außen nicht moralischer, klüger, fröhlicher, besser, lieber oder „heiliger“ als wir es inwendig in uns sind.

Der Abgleich zwischen Innen und Außen, die ganzheitliche Übereinstimmung, die wir auch Integrität nennen können, die „Wahrhaftigkeit“, in der wir ganz genau die sind, die wir sind – ohne eine Rolle zu spielen, uns zu verstellen, zu verdrehen und anzubiedern – das ist es, was Gott sehen möchte, denn das entspricht seinem Wesen. ER ist ganz echt, ganz klar bzw. transparent, ganz integer durch und durch. Darum können wir Gott glauben und uns auf ihn verlassen.

Nicht so steht es um die „Oberen“ von Kirche und Staat, die Experten und Würdenträger, denen Jesus vermitteln muss, dass sie nicht in der Wahrheit und im Licht leben, sondern in der Lüge und der Finsternis; und dass ihr ganzer Stand im Besonderen davon durchdrungen und gekennzeichnet ist, gerecht und heilig zu tun, ohne es zu sein. Es gehört einfach zur Stellenbeschreibung ihres Berufes und wird entsprechend vorgemacht. Die Gefahr dabei ist, dass man irgendwann seiner eigenen Lüge glaubt und sie lebt, als sei sie die Wahrheit. Dann ist es sehr schwer, umzukehren. Die Identifikation mit dem Schein ist so groß, dass das Sein dahinter verschwindet.

Ein wesentlicher Teil der geistlichen Übung für Jesus-Nachfolger ist die ständige Abgleichung zwischen unserem Inneren, wo wir sind, die wir wirklich sind und unserem Äußeren, wo wir geneigt sind und von Kindesbeinen an gelernt haben, dass von uns erwartet wird, eine gewünschte Rolle zu spielen, um von der Familie, der Schule, der Gesellschaft und auch der Kirche/Gemeinde akzeptiert und respektiert zu werden.

Die Pharisäer und Schriftgelehrten waren Musterbeispiele derjenigen, die „es geschafft“ haben. Sie haben mehr oder weniger ihre Seele verkauft, um die Rolle des religiösen Gutmenschen einzunehmen und in der klerikalen Hierarchie oder politischen Arena Karriere zu machen. Wer sie dabei sind, ist unwichtig. 

Aber Jesus legt ausgerechnet darauf den Finger: Wer bist du? Stimmen Innen und Außen überein, bist du echt und ausgewogen, integer und licht? Wo bleibt hinter der Rolle des Pharisäers und Schriftgelehrten der Mensch? Bist du dir überhaupt dessen bewusst, dass dein Inneres voller Raub und Bosheit ist, während du nach Außen den Gutmenschen spielst? Oder bist du dermaßen daran gewöhnt, dein Inneres zu übergehen und zu übersehen, dass du das gar nicht merkst? Glaubst du, du bist auf dem Weg in den Himmel, während du zur Hölle fährst? Tor!

Der Heilige Geist hält uns unentwegt den Spiegel vor, damit wir die Diskrepanz zwischen Schein und Sein korrigieren. Mit den Jahren werden wir unter seiner Aufsicht und Anleitung immer mehr zu uns selbst und können auch die anderen sein lassen, die sie sind. Und wir hören auch damit auf, Gott für unsere Zwecke zu instrumentalisieren. Und wenn er sich nicht die Hände vor dem Essen wäscht, dann ist das nicht unser Problem…