Fromme Herzen voller Raub und Bosheit

Als er aber redete, bat ihn ein Pharisäer, dass er bei ihm zu Mittag essen möchte; er ging aber hinein und legte sich zu Tisch. Als aber der Pharisäer es sah, wunderte er sich, dass er sich nicht erst vor dem Essen gewaschen hatte. Der Herr aber sprach zu ihm: Nun, ihr Pharisäer, ihr reinigt das Äußere des Bechers und der Schüssel, euer Inneres aber ist voller Raub und Bosheit. (Lukas 11,37-39)

Offenbar unterbricht ein Pharisäer Jesus in seiner Rede über das Licht und die Finsternis. Vielleicht fand er es nicht gerade wichtig, was Jesus da erzählte, wichtig war, dass um 12.00 Uhr zu Mittag gegessen wird.

Jesus macht das mit und geht stracks in das Haus seines Gastgebers und legt sich zu Tisch. Und damit hatte er schon die Pharisäer brüskiert, die sich genau an Reinigungsrituale hielten, wie es in Markus 7,3-4 genauer beschrieben wird: Die Pharisäer und Juden essen nicht, wenn sie sich nicht sorgfältig die Hände gewaschen haben, indem (womit) sie die Überlieferung der Ältesten festhalten; und vom Markt kommend, essen sie nicht, wenn sie sich nicht gereinigt habe; und vieles anderes gibt es, was sie zu halten überkommen haben: Waschungen der Becher und Krüge und ehernen Gefäße.

Wenige Verse weiter sagt Jesus, dass sie – die Pharisäer und Juden – das Wort Gottes ungültig machen durch ihre Überlieferungen. O wie allgemein akzeptiert und praktiziert wird diese Übergehung und Ersetzung des Wortes Gottes durch Traditionen und Rituale! Würden wir unsere Gottesdienste einmal genau daraufhin überprüfen, was davon wirklich im Wort Gottes geschrieben steht, würden wir ernüchtern, denn einen solchen Gottesdienst, wie wir ihn Sonntag für Sonntag anbieten, finden wir dort überhaupt nicht. In Jak. 1,27 heißt es „unser reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott, dem Vater, ist der: die Waisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen…“ Nun, wer von uns hält DAS für einen Gottesdienst und wer tut das? Während wir also sonntags in den Godi gehen, um bepredigt zu werden und „aufzutanken“, geht Jesus zu den Witwen und Waisen… 

Wir haben also unserer Traditionen und Veranstaltungen, die genau wie die der Pharisäer per se nicht schlecht sind, aber eben nicht das, was das Wort Gottes uns sagt.

„Wenn ihr zusammenkommt, so hat jeder einen Psalm, hat eine Lehre, hat eine Offenbarung, hat eine Sprachenrede, hat eine Auslegung; alles geschehe zur Erbauung“ (1 Kor 14,26).

Das steht seit zig Jahrhunderten so in unseren Bibeln, aber wo wird es genau so praktiziert? Wie macht man das überhaupt? Wie organisiert man das, wenn jeder Gaben hat und nicht nur der Pastor den Alleinunterhalter spielt, der allen geben soll, was in Wahrheit nur alle gemeinsam füreinander tun können. Wie sollte ein einzelner Diener oder meinetwegen auch ein „Segnungsteam“ im Anschluss an die Veranstaltung den Bedarf an Tröstung von 50 oder 100 Leuten stillen? Wie sie alle auferbauen?

Die Gemeinde macht das alles miteinander und füreinander oder sie ist gar nicht wirklich neutestamentliche Gemeinde. Niemand kommt bei dieser als Konsument in eine Veranstaltung, um dort unterhalten und betreut zu werden, nein, er kommt als Diener, Begabter und Verantwortlicher für die Auferbauung der Gemeinde. Wie viele Gemeindemitglieder aber haben dieses biblische Selbstverständnis? Wird von ihnen verlangt, was geschrieben steht, oder reicht es, dazusitzen und den „gemeinnützigen“ Laden mit einem finanziellen Beitrag am Laufen zu halten?

Je tiefer wir mit diesen Fragen in die Materie eindringen, desto deutlicher werden wir die allgemein akzeptierte und praktizierte Abweichung vom Original entdecken. Sie ist systemisch und sie hat Tradition. Genau wie bei den Pharisäern, die sich über Jesu seltsames Benehmen wundern.

Wie so oft, bringt Jesus den Punkt zur Sprache, dass es nicht auf das Äußere ankommt, sondern auf das Herz. Wir können nach außen hin wunderbar einhalten, was von uns verlangt wird und uns dann einbilden „gute“ Gläubige zu sein, während wir innerlich meilenweit davon entfernt und eben voller Raub und Bosheit sind.

Warum sollte Gott daran interessiert sein, dass wir alles richtig machen, während wir nicht richtig SIND? Was interessiert ihn, ob unsere Hände gewaschen sind, wenn doch unser Herz unrein ist? …und vielleicht eine ganze Horde unreiner Geister darin wohnen, denen ganz egal ist, ob wir am Sonntag das Vaterunser aufsagen.

Warum sollte Gott am Sonntag größeres Interesse haben, als am Montag? Wieso sollte ihm mehr bedeuten, was wir im Gottesdienst inszenieren, als was wir zuhause treiben? Gehen wir solchen Fragen nach, finden wir die Absurdität vieler traditioneller Annahmen und Programme, die wir einfach nie auf ihre Sinnhaftigkeit und tatsächliche Verankerung im Wort Gottes hinterfragen.

Ich kann mir vorstellen, wie geschockt der gute Pharisäer da gesessen haben muss, als Jesus vor versammelter Mannschaft solch offene und radikale Worte an ihn und seine Kaste richtet. Das geht doch gar nicht! Aber Jesus holt erst richtig aus und wird in den folgenden Versen sowas von deutlich, dass man es kaum fassen und auch kein bisschen christlich finden kann. Jedenfalls nicht, wenn es nach unserer Christlichkeit geht, die mit der Christlichkeit von Jesus, dem Christus Gottes, womöglich nur wenig gemein hat, vielmehr jedoch mit der religiösen Heuchelei des Pharisäers.