Der Finger Gottes

Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist also das Reich Gottes zu euch gekommen. (Lukas 11,20)

In der Parallele in Matthäus 12,28 heißt es: „Wenn ich aber durch den Geist Gottes die Dämonen austreibe…“ Der Finger Gottes ist also der Geist Gottes. Dennoch ist es interessant, das Lukas den Begriff „Finger“ benutzt.

Auf der einen Seite macht es auf mich den Eindruck, dass das Austreiben der Dämonen ganz leicht ist, ein Finger reicht, um die Sache zu erledigen. Sie geschieht geradezu beiläufig. Was bei uns für Aufsehen sorgt und für endlose Kontroversen sorgt, das sind einfach die „Nebenwirkungen“ des Reiches Gottes. Da löst sich die Stimme der Stummen, die Blinden sehen und Lahmen gehen. Aber das ist nicht die Hauptwirkung des Reiches Gottes. Die Präsenz Gottes bringt eine umfassende und revolutionäre Offenbarung mit sich, wer Gott wirklich ist und wer wir – in seinem Lichte – wirklich sind. Da endet die kollektive Verblendung und die Sünden-Matrix der Welt kollabiert. Die Menschen werden erweckt, erleuchtet und wiedergeboren. All das geschieht durch den Geist Gottes. Darum heißt es in der Parallele Markus 3,28-30:

Wahrlich, ich sage euch: Alle Sünden werden den Söhnen der Menschen vergeben werden, und die Lästerungen, mit denen sie auch lästern mögen; wer aber gegen den Heiligen Geist lästern wird, hat keine Vergebung in Ewigkeit, sondern ist ewiger Sünde schuldig; – weil sie sagten: Er hat einen unreinen Geist.

Nun wird den Kritikern Jesu also nicht nur vermittelt, dass sie vorsichtig sein sollten mit ihren negativen Spekulationen über die Vollmacht Jesu, weil ihre eigenen Söhne im Gericht ihre Richter sein werden, sondern auch, weil sie dabei sind, den Heiligen Geist zu einem unreinen Geist bzw. zu einem Dämon (Beelzebub) zu erklären. Hier haben wir also eine unglaubliche Herausforderung, die Geister zu unterscheiden. Nur allzu leicht wird der Heilige Geist mit dem unheiligen Geist verwechselt. Satan ist sehr daran gelegen, uns einen scheinheiligen Geist als den heiligen Geist zu verkaufen, ein religiöses Imitat.

Viele Gemeinden, die für Erweckung gebetet haben, die dann anfingen, den „Finger Gottes“ in ihrer Mitte zu erleben, waren darüber so erschrocken, dass sie sofort Wasser aufs Feuer gossen und die Gemeinde sich in völliger Uneinigkeit über das Geschehen spaltete. Diese Entwicklung führte etwa in Deutschland zu der „Berliner Erklärung“, die den Geist Gottes für glatte hundert Jahre ausbremste, was dann andere Geister gnadenlos ausnutzen, ganze Weltkriege anzuschieben und die Kirche in völlige Verwirrung und Kraftlosigkeit zu stürzen. Bis heute halten einige Gemeinden eisern an dieser Deklaration fest. Sie halten den Geist von oben für den Geist von unten.  

Über den Geist Gottes und die Dämonen werden die abenteuerlichsten Theologien entwickelt. Sie führen alle zu derselben Schlussfolgerung: Wir brauchen den Geist Gottes praktisch gesehen nicht (mehr), sein Werk in den Evangelien und zur Gründung der ersten Gemeinde ist abgeschlossen; und die Dämonen, ja, die bleiben vor den Türen der „heiligen“ Kirche, weil da Bibeln und Weihwasser sind. 

In den ersten Jahren meines bewussten und bekehrten Christseins konnte ich mit dem Heiligen Geist genauso wenig anfangen wie mit den Dämonen. Das eine war mir so abstrakt wie das andere. Die Gemeinde betrieb ihre Geschäfte ganz anders als Jesus oder die Urgemeinde, sie war überhaupt nur schwer mit dem Neuen Testament in Einklang zu bringen. Was ihr ganz augenfällig fehlte, war Kraft. Genau die, die der Heilige Geist laut Jesus mitbringt. Pfingsten wurde zu einem einmaligen und nicht anhaltenden Ereignis erklärt, das alle Christen in der einen oder anderen Form erleben sollen.

Über das Reich Gottes wurde ebenfalls nur theoretisch gepredigt, wenn überhaupt. Ich hatte oft das Gefühl, wir Christen wären im Exil, wie Israel in Babylon. Man lebte ganz in der Hoffnung auf ein besseres Morgen hin, wo Jesus wiederkommt und sich dann die glorreiche Geschichte des Reiches Gottes in Erweisung des Geistes und der Kraft fortsetzt. In der Zwischenzeit müssen wir bei Brot und Wasser ausharren und in feindlicher Umgebung treu und fest am Glauben festhalten. Mehr gibt es nicht.