Der Jesus für mildtätige Zwecke

Tagesgedanken Autor Frank Krause
Franks TagesGedanken

Während sie aber dies hörten, fügte er noch ein Gleichnis hinzu, weil er nahe Jerusalem war, und sie meinten, dass das Reich Gottes sogleich erscheinen solle. (Lukas 19,11)

Gerade hatte Jesus der murrenden Volksmenge in Bezug auf den Zöllner Zachäus gesagt, dass seinem Haus heute Heil widerfahren sei, weil auch er ein Sohn Abrahams ist. Sie aber sind nicht bei der Sache. Großartiges ist geschehen, Geschichtsträchtiges, was in die Bibel Eingang gefunden hat, die ganze Welt kennt heute die Geschichte von Zachäus. Aber dennoch sind die Hörer Jesu nicht bei der Sache Jesu, sondern bei ihrer Sache.

   Vielleicht haben wir gemeint, wenn wir oder unsere Gemeinde nur damals gelebt hätten und mit Jesus gezogen und ihn live erlebt hätten, dann gäbe es keine Glaubensprobleme. Dann wären wir alle tadellose Nachfolger Jesu. Aber dem ist nicht so.

   Dieses „Volk“ bewies von einer Situation zur anderen, dass sie Jesus, der leibhaftig unter ihnen war(!) nicht einzuschätzen wussten und stets ihre eigenen Vorstellungen darüber hatten, wie er sein sollte. Im Kap. 18,35-43 fuhren sie den Blinden an, den Mund zu halten, aber Jesus kümmerte sich im Besonderen um ihn. In Kap. 19,7 murrten sie alle (!), weil Jesus bei dem „sündigen Mann“ Zachäus herbergte.

   Auch heute müssen wir davon ausgehen, dass sich viele Christen und ihre Gemeinden womöglich ihre eigenen Vorstellungen über Jesus machen, die mit dem wirklichen Jesus wenig gemein haben. Hier jedenfalls hören die Leute nicht einmal dem originalen Jesus zu, sondern sind mit ihren Gedanken schon in Jerusalem, wohin Jesus unterwegs war. Dort erwarteten sie das machtvolle, die Besatzer vertreibende Erscheinen des Reiches Gottes. Showtime!

   Vielleicht hatten sie kaum noch Geduld mit Jesu verzögernden Episoden, wie gerade eben bei diesem Oberzöllner Zachäus (igitt!), und mit seinen vielen Gleichnissen (worüber redet er nur die ganze Zeit?). Warum nicht endlich zur Sache kommen! Aber als es dann endlich soweit ist, weint Jesus über Jerusalem (19,41). Was soll denn das nun wieder?!

  Wir müssen uns selbst überprüfen, ob wir unseren eigenen Vorstellungen von Jesus und dem Christsein folgen, oder wirklich seinen Vorstellung und IHM selbst.

   Jesus ist nicht berechenbar, er passt nicht in unsere religiösen Schablonen und benimmt sich genauso unkonventionell und gegen jede Erwartung und Regel wie damals. Man kann ihn nicht kennen, außer durch seinen Geist, der ihn uns offenbart. Ohne Offenbarung haben wir nichts anderes als unsere eigenen Interpretationen der Schrift – ganz wie die Schriftgelehrten und Pharisäer. Sie konnten mit dem wirklichen Jesus leider nichts anfangen und beseitigten ihn. Ich fürchte, auch heute würden ihn viele Christen nicht erkennen, so anders ist er, als sie meinen. Auch sie würden Anstoß an ihm nehmen und sich über ihn ärgern.

   Für mich persönlich ist dies eine tägliche und dringende Frage: Kenne ich IHN selbst und kann er sich mir zeigen, wie er ist, weil ich ihn liebe und darum bitte? Oder laufe ich einer Illusion, einer religiösen Karikatur hinterher, einem Pseudo-Christus? Dem Jesus für „mildtätige Zwecke“, damit wir steuerbefreit werden?