Es ist der Leser…

…der das gute Buch erschafft.

In jedem Buch findet er so etwas wie Bekenntnisse oder Nebenbemerkungen, die allen anderen verborgen bleiben und fraglos nur für seine Ohren bestimmt sind. Der Nutzen von Büchern entspricht dem Empfindungsvermögen des Lesers. Der tiefgründigste Gedanke, die tiefste Leidenschaft schläft wie in einem Bergwerk bis ein ebenbürtiger Geist, ein ebenbürtiges Herz sie sich erschließt.

Emmerson

Wie wahr das ist! „Dem Geistlichen ist alles geistlich“ heißt es. Er findet in jedem Film und jedem Buch geistliche Zusammenhänge, liest zwischen den Zeilen und entdeckt Muster, die dem Autor selbst womöglich entgangen sind. Was wir suchen, finden wir überall – wenn wir nur intensiv genug suchen. Und dazu auch noch offen dafür sind, dass das Gesuchte weder dort ist, wo wir meinten, dass es sein müsse und zudem auch noch anders aussehen könnte.

   Ich habe schon „nichtchristliche“ Bücher gelesen, die mir geistlich höchst aufschlussreich waren. Und bei meiner ersten Gemeinde verhielt es sich so, dass gerade die Bücher, die man nach Ansicht der Leiterschaft NICHT lesen sollte, oft genau die waren, die mich weiterbrachten.

   Viele kleine und große Werke der Literatur sind so geschrieben, dass der, der sie liest, ohne etwas zu suchen, auch nichts findet. Er kann nicht verstehen, was die anderen nur an diesen Texten finden. Dem sehnsüchtig und verzweifelt Suchenden aber öffnen sie geheime Pforten zu verborgenen Schätzen der Erkenntnis.

   In den ersten Jahren meines Christseins ging es mir selbst mit der Bibel so. Sie war mir unzugänglich, als sei sie mit sieben Siegeln verschlossen. Eines Tages drehte sich das in sein Gegenteil um und sie wurde mir zur Quelle unendlicher Inspiration. Was war geschehen? In einer Offenbarung wurde  mir gesagt, dass ich aufhören solle, die Bibel zu lesen und sie stattdessen mich lesen zu lassen. Ich weiß, das klingt sehr kryptisch. Aber für mich war es in jenem Moment eine „Erleuchtung“, eine Türe zu einem völlig anderen Verständnis von Bibellesen. Ein Licht ging mir auf und es scheint bis heute. Die Verhältnisse drehten sich in ihr Gegenteil um.

   Ich habe gelernt, die Bibel sehr persönlich zu nehmen. An sich kann man dieses Phänomen auch auf andere Texte übertragen: Wie nah lassen wir sie an uns heran? Wie tief lassen wir uns auf sie ein? Heilige, inspirierende, lebendige Texte nur zu Zwecken der Information zu lesen, wird ihnen nicht gerecht. Sie wollen uns nicht informieren, sondern transformieren – und das ist wirklich etwas völlig Unterschiedliches. Das eine geht uns durch den Kopf, das andere durchs Herz. Aber darüber hatte mir niemand etwas gesagt, ich musste es selbst herausfinden.

   Gute Bücher definieren sich für mich nicht mehr darüber, welcher Religion, Ideologie oder „Richtung“ sie zuzurechnen sind, sondern wie menschlich reif, licht und authentisch der Schreiber ist. Vermittelt er ein geschlossenes oder offenes Bild? Macht er die Luken dicht, um die Wirklichkeit draußen zu halten oder macht er Türen und Fenster auf, um sie einzulassen? Noch besser: reißt er die Hütte, den Tempel, die Kathedrale, usw. ab, weil sie jedenfalls zu klein und unbeweglich für den echten Menschen und den echten Gott sind?

   Gute Bücher sind für mich solche, die Grenzen durchbrechen, und sowohl den Erkenntnis-Horizont als auch die Herzes-Augen öffnen. Es sind Worte, die den Eindruck vermitteln, als würden sie mich kennen und mit mir in einen wesentlichen Dialog eintreten. Ich erkenne sie daran, dass sie mein Lesetempo drosseln und ich am Ende wünschte, sie wären nur der Anfang. Sie fordern Zeit und Aufmerksamkeit – und ich bin bereit, ihnen dies zu gewähren.

   Dann – je nachdem – kann es mir so vorkommen, als reiche das „gute Buch“ mir den goldenen Stift herüber und fordere mich auf: „Schreib mich doch weiter!“ So gibt es Texte, die sind fix und fertig und andere, die sind offen für eine Fortsetzung und Weiterentwicklung. Sie können die erstaunliche Dimension eines „Rufes“ annehmen und einen in ihren Dienst stellen, ihre Botschaft weiter zu entfalten und persönlich zu neuem Ausdruck zu bringen.  

meine SchreibWerkstatt

Schreiben in der Herrlichkeit