Während er aber hinzog (auf einem Esel) breiteten sie ihre Kleider aus auf dem Weg… Und die ganze Menge der Jünger fing an, mit lauter Stimme freudig Gott zu loben über all die Wunderwerke, die sie gesehen hatten… (Lukas 19,36-37)
Nun endlich ist es so weit und der „König“ reitet auf einem Esel über einen seltsamen anmutenden „roten Teppich“ in Jerusalem ein. Die Jünger sind begeistert. Jubel herrscht. Außer bei den Pharisäern natürlich (19,39), die von Jesus verlangen, seine Leute im Zaum zu halten. Große Gefühle sind offenbar nichts für sie.
Mich mutet diese Szene skurril an. Der „König“ auf einem jungen Esel… reitet über die Klamotten seiner Jünger, die „Gott loben über all die Wunderwerke, die sie gesehen haben“… Aufgebrachte Pharisäer, die sich beschweren… Und dann weint Jesus über die Stadt:
„Wenn du nur heute erkennen würdest, was zu deinem Frieden dient. Aber du kannst es nicht sehen. Böse Tage werden kommen…weil du die Zeit deiner Heimsuchung nicht erkannt hast.“ (19,41-42)
Wahrscheinlich haben die begeisterten Jünger sich sehr gewundert. Was weint Jesus denn? Das Ziel des Weges ist erreicht, der Tempel von Jerusalem ist nicht mehr weit. Jetzt wird die Kirche (Synagoge/Tempel) erneuert und Jerusalem zu neuem Glanz gelangen. Es ist, als reite Jesus in den Vatikan ein! Die Menge jubelt – Jesus weint.
Und was redet er denn da? Wie kann er denn sagen, dass Jerusalem den Tag seiner göttlichen Heimsuchung nicht erkannt hat? Sie sind doch alle hier und jubeln wie verrückt! Was will er denn noch mehr? Er selbst, der Messias und Friedefürst, betritt die Heilige Stadt! Alles ist bestens!
Also weint Jesus darüber, dass weder die jubelnden Jünger noch die Pharisäer noch das Volk kapieren, worum es eigentlich geht. Die Jünger jubeln über die Wunder, die Pharisäer beschweren sich über die Unordnung, das Volk erwartet eine politische Wende von ihrem neuen „Papst“.
Jesus sieht über das Tagesgeschehen hinaus auf die größere Geschichte Jerusalems, der „Stadt des Friedens“, die Frieden weder kennt noch kann. Er spürt den schicksalhaften Moment, in dem jeder nur das sieht, was er sehen will und nur hört, was er hören will – und nicht die Wahrheit, denn sie gefällt nicht. Wird doch „kein Stein auf dem anderen bleiben“ (19,44). Hier wird er in Kürze verraten, gefoltert und getötet werden. Wie oft hatte er es seinen Jüngern angekündigt, aber es interessierte sie nicht. Sie warten auf weitere spektakuläre Wunder, ziehen im Triumphzug ein, um den neuen Imperator zu inthronisieren. Hosanna!
Bei diesen Texten stellt sich mir immer die Frage, ob ich Jesus dafür haben will, die Wirklichkeit für mich zu manipulieren und wunderwirksam zu verändern, so dass alles, was mir nicht gefällt, aus dem Weg geräumt wird und ich groß rauskomme? Oder ob er mir die Augen für die wahre Wirklichkeit öffnen kann – ungeschminkt und ungefiltert, ohne religiöse Interpretation und ideologische Instrumentalisierung.
„Dafür bin ich geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit spreche. Jeder, der sie hören will, der hört meine Stimme.“ (Joh 18,37)
Erst wenn wir der Wahrheit ins Auge sehen, dass von „unserem Tempel“ kein Stein auf dem anderen bleiben wird, werden wir bereit, die Frage nach einem anderen Tempel zu stellen. Einen, den weder wir bauen, noch der in unserer Verfügung steht. Einen der wirklich heilig ist und nicht so, wie wir uns Heiligkeit vorstellen – religiös und ideologisch.
„Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ (Johannes 18,36)